Stephan Weil: Betriebsrat und Management

Unter dem Titel "Betriebsrat und Management" veröffentlicht der Cicero in seiner aktuellen Ausgabe einen Zwischenruf von Stephan Weil. Wir reproduzieren ihn hier exklusiv mit freundlicher Genehmigung des Cicero – vielen Dank.

Stephan Weil

Innovation und Gerechtigkeit! Den Älteren kommt  dieser Slogan vielleicht noch bekannt vor: „Arbeit, Innovation und Gerechtigkeit“ – mit diesem Dreiklang gewann die SPD 1998  die Bundestagswahl. Und Gerhard Schröder wurde  Bundeskanzler.

15 Jahre später klang es ganz anders: „Das Wir entscheidet“, hieß das Motto im Bundestagswahlkampf 2013, und die SPD landete zum zweiten Mal hintereinander bei Mitte 20 Prozent der  Wählerstimmen. Dass auch  die Regierungsbeteiligung, der Mindestlohn und das Rentenpaket daran nichts Entscheidendes geändert haben, zeigen die Wahlen  zum Europäischen Parlament.

Zwei unterschiedliche Slogans, zwei unterschiedliche Wahlergebnisse – so einfach ist es natürlich nicht. Wahlerfolge und -niederlagen haben viele Gründe. Das politische Profil gehört jedoch zu den entscheidenden Faktoren. Da ist dann eben doch festzustellen, dass die SPD 1998 eine sehr klare Orientierung auf Wirtschaft und Zukunft hatte, 2013 dagegen an ein eher diffuses Gefühl der Zusammengehörigkeit appellierte.

Aufmerken lässt auch ein anderer Vergleich. Die Wähler haben der SPD 2013 Kompetenz beigemessen, allerdings vor allem bei Themen wie Gesundheit, Familie und soziale Gerechtigkeit. In Fragen der Finanzen, der Wirtschaft und der Arbeit hatte dagegen  die Union einen großen Vorsprung. Viele Menschen halten die SPD für einen guten Betriebsrat der Gesellschaft, trauen ihr aber das Management nicht zu. Das war 1998 ganz anders; gerade  bei Wirtschaft und Arbeit hatte die SPD ein ausgeprägtes Profil.

Die Schlussfolgerung ist zwingend: Die SPD muss stärker eine innovative Wirtschaftspolitik und  die Sorge der Menschen um einen Arbeitsplatz in den Mittelpunkt ihrer Politik stellen, wenn sie wieder mehrheitsfähig werden will. Es reicht nicht aus, sich auf die sozial gerechte Verteilung dessen zu konzentrieren, was erwirtschaftet worden ist.

Was kann die SPD anbieten? Eine eindimensionale Wirtschaftspolitik, die die Senkung  von Steuern und sozialen Standards propagiert? Die SPD als bloßer Erfüllungsgehilfe der Wirtschaft? Das käme sie teuer zu stehen. Die Antwort ergibt sich vielmehr durch einen Blick auf die wachsenden Sorgen in immer mehr Unternehmen, für die gerade klassische Teile der sozialdemokratischen Programmatik viele Lösungen bieten.

In unserer Gesellschaft geht die Zahl jüngerer Menschen zurück, der Anteil der Senioren wächst. Diese Entwicklung trifft auch die Unternehmen: Fachkräftemangel avanciert zum Wachstumsrisiko der deutschen Wirtschaft. Weniger junge Erwerbstätige und wachsende Anforderungen an deren Qualifikation verheißen eine schwierige  Zukunft.

Die Antwort auf diese Herausforderungen liegt nicht in weniger Staat, sondern in einem aktiven Staat:  Bildung und Qualifizierung, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Zuwanderung und Integration. Unsere Unternehmen werden dringend Talente benötigen, junge Frauen und junge Migranten eingeschlossen. Aus früheren Nischenthemen werden so zentrale Zukunftsthemen, aus  sozialdemokratischen Zielen ökonomische Forderungen.

Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels zeigt sich, wie modern die Programmatik der SPD ist. Dass ein Staat in kluge Köpfe investieren muss, wird von Jahr zu Jahr  deutlicher. Natürlich lässt sich eine moderne Wirtschaftspolitik nicht nur auf Bildung und Qualifizierung reduzieren. Eine leistungsfähige Infrastruktur, wettbewerbsfähige Standortkosten und andere Faktoren gehören dazu. Gleichwohl: Die SPD hat als Partei der Arbeit und als Partei der Bildung die Chance, ein authentisches Profil für die zentrale Herausforderung unserer Gesellschaft zu entwickeln.

Sicher: Der Weg zurück zur Mehrheitsfähigkeit wird für die SPD nicht einfach,  aber er ist gangbar. Er setzt eine selbstkritische Überprüfung bisheriger Schwerpunkte vor- aus, er kann aber an gute Erfahrungen anknüpfen. „Innovation und Gerechtigkeit“ – nicht die schlechtesten Leitplanken für den künftigen Kurs der SPD.

Mit freundlicher Genehmigung des Cicero – Magazin für politische Kultur
erschienen in: Ausgabe 8/2014, Seite 38