Politik der Gerechtigkeit in Zeiten der Finanzkrise

„Ungerechtigkeit ist nicht nur gefühlt, sie ist auch statistisch erwiesen.“ Mit diesen Worten führte Professor Dr. Friedhelm Hengsbach in seinen Vortrag ein. Zuvor hatte Benno Haunhorst vom Leitungskreis des Arbeitskreises Christinnen und Christen in der SPD Niedersachsen den Referenten als bekannten deutschen Jesuiten und Sozialethiker vorgestellt, der u. a. als Professor an der Theologischen Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt a. M. gelehrt hatte.

Schon ein Blick in die Vermögensverteilung zeige die allgegenwärtige Ungerechtigkeit überdeutlich, erklärte Hengsbach. Die Bankenrettung habe vor allem die Gläubiger geschont und die Schulden der Allgemeinheit aufgebürdet. Neben den Finanzmärkten seien auch die Rohstoffmärkte in die spekulative Flut hineingezogen worden. Vor diesem Hintergrund sei völlig aus dem Blickfeld verschwunden, sich mit Problemen sozialer Gerechtigkeit zu befassen. Die Arbeitsverhältnisse polarisierten zwischen Kernbelegschaften und den Arbeiternehmern, die sich in Teilzeit, Befristung, Leiharbeit und Scheinselbstständigkeit befänden. Viele Berufstätige lebten unmittelbar an der Armutsgrenze. Immer stärker würden die Einzelnen zur Verantwortung herangezogen und bislang gesamtgesellschaftliche getragene Risiken individualisiert. „Du hättest mal gesünder leben sollen,“ werde dem Arbeitnehmer vorgehalten, der wegen Krankheit vorzeitig aus dem Berufsleben ausscheiden müsse. „Ein besonderes gesellschaftliches Risiko ist zudem die Zugehörigkeit zum weiblichen Geschlecht.“

Einkommenshöhe richte sich danach, wie sehr sich der Einzelne einsetze und gemäß dieser Logik sei Gerechtigkeit aktuell dadurch definiert, dass die Beschätigten entsprechend ihrer Leistungsbereitschaft entlohnt werden. Wirkliche Gerechtigkeit sei jedoch nicht kurzfristig, sondern nur als „langer Schatten der Zukunft“ zu begreifen. Um diesem Ziel näher zu kommen, sei eine Entschleunigung zwingend erforderlich. Diese Forderung richte sich unbedingt auch an die Finanzmärkte. Die Finanztransaktionssteuer sei ein solcher Versuch, diese Entschleunigung durchzusetzen. Nicht länger dürfe es bei der Privilegierung der steuerlichen Belastung von Minijobs bleiben, forderte Hengsbach. Der Tarifautonomie sei wieder ihre Bedeutung zurückzugeben, die sie bis zu den siebziger und achtziger Jahren besessen habe. Öffentliche und private Arbeitsverhältnisse müssten gleich behandelt werden, Wertschöpfung umweltverträglich stattfinden. Es gelte, den Wohlstand zu mehren und darüber die Lebensgrundlage zukünftiger Generationen nicht zu zerstören. Die Sicherung von Arbeitsplätzen dürfe nicht auf Kosten der Sicherung der Umwelt passieren. Im Übrigen entspreche es den christlichen Wertvorstellungen, dass die Welt allen Menschen ein menschenwürdiges Dasein biete.

„Ich habe seit langem nicht mehr einen so globalen und umfassenden Vortrag erlebt,“ erklärte Gabriele Lösekrug-Möller, Sprecherin des Arbeitskreises Christinnen und Christen in der SPD Niedersachsen. Alle entscheidenden ökonomischen, ökologischen und sozialen Aspekte seien angesprochen mit Blick auf die entscheidende Frage: „Ist das, was wir machen, enkeltauglich?“ Hengsbachs Ausführungen seien eine eindringliche Warnung gewesen, in Politik und Wirtschaft in kurzen Dimensionen wie Wahlperioden zu denken. „Nur wenn wir uns von einer solchen Kurzatmigkeit frei machen, können wir kluge Entscheidungen treffen, die dem langen Schatten der Zukunft gerecht werden.“ Die aktuelle Finanz- und Wirtschaftskrise sowie der internationale Umgang damit seien hier als trauriges Negativ-Beispiel zu sehen.

Am Schluss der Veranstaltung lud Monika Griefahn zur nächsten Veranstaltung des Arbeitskreises Christinnen und Christen in der SPD Niedersachsen ein. Diese wird am 7. Mai d. J. um 18.00 Uhr in Lüneburg stattfinden. Auf dieser Veranstaltung werden Prof. Dr. Andreas Lienkamp von der Universität Osnabrück und der Bundestagsabgeordnete Dr. Matthias Miersch sprechen und diskutieren. Im Mittelpunkt steht die Frage, wie eine Politik der Nachhaltigkeit aussehen kann, die fair gleichermaßen mit den entwickelten wie den aufstrebenden Staaten umgeht. Schon heute sind alle Interessierten herzlich zu dieser öffentlichen Veranstaltung eingeladen.

Wer sich eingehend mit den Thesen und Überlegungen von Prof. Dr. Friedhelm Hengsbach auseinandersetzen möchte, kann sich unter folgenden Quellen im Internet informieren: