
Unter dem Titel „Suchet der Stadt Bestes“ (Jeremia 29, 7) ging es in der Veranstaltung zunächst um die Frage, was Bürger- und Christengemeinde zur Entwicklung des gesellschaftlichen Miteinanders auf kommunaler Ebene beisteuern können. Stefan Schostok, Vorsitzender der niedersächsischen SPD-Landtagsfraktion, erklärte in einem Grußwort, der Anstoß zu mancher großen gesellschaftspolitischen Debatte sei aus den Kirchen hervorgegangen und die SPD könne von der Kirche lernen, „wie man solche Grundsatzdebatten entfacht“. Schostok betonte, „wir haben eine große Chance, wenn SPD und Christen in einen Dialog eintreten“.
Einen starken Eindruck bei den zahlreichen Gästen der Veranstaltung hinterließ das Referat von Cornelia Coenen-Marx, Referatsleiterin der Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) für sozial- und gesellschaftspolitische Fragen. Gewachsene soziale Netze, in denen wir leben, seien brüchiger geworden, erklärte die Referentin. Reichtums- und Armutsquartiere in den Kommunen grenzten sich immer mehr voneinander ab. Die Trennung in der Gesellschaft werde sich im Rahmen des demographischen Wandels noch weiter verschärfen. Schichtzugehörigkeit und ethnische Herkunft bestimmten sehr stark die Bildungsaussichten und dies führe schlussendlich sogar zu einer bis zu 10 Jahre geringeren Lebenszeit als bei besser ausgebildeten Menschen. „Von diesen Prozessen ist Kirche nicht unberührt“, betonte die Referentin. Die Zahl der Kirchenmitglieder sinke ebenso wie damit verbundenen Kirchensteuereinnahmen. Kirche müsse sich mit Familienzentren an Familien und Pflegebedürftige wenden. „Aber nicht nur die quantitativen, auch die qualitativen Anforderungen wachsen.“ Coenen-Marx erklärte, man brauche beim Ausbau der Pflege dieselbe Bewegung wie bei Bildung und Erziehung. Das werde auch die Entwicklung der Wohnquartiere entscheidend beeinflussen. Kirche habe das Problem des geschlossenen Mittelstandsmilieus, von dem es eine Distanz „zu denen da unten“ gebe. Es reiche deshalb nicht, dass Kirche im Ort bleibe, sondern sie müsse „Andockpunkte für soziales Engagement bieten. Hier zeige „Gemeinwesen-Diakonie die Richtung an“, betonte Coenen-Marx. Man befinde sich mitten im Wandel. „Wir sind nicht nur noch Gastgeber“ erklärte sie mit Hinweis auf andere Religionen und Kulturen, die inzwischen auch in Deutschland zu Haus seien. Neu müsse auch das Verhältnis von Kirche und Kommunen definiert werden und Christen müssten sich ganz praktisch mehr in der Ratsarbeit engagieren, rief Coenen-Marx auf.
In der anschließenden Podiumsdiskussion strich die Bundestagsabgeordnete Caren Marks aus Wedemark (Hannover Land) heraus: „Neben meinem Bundestagsmandat bin ich nicht zufällig im Rat einer Gemeinde aktiv, sondern weil ich das sogenannte „Kleine“ nicht aus dem Blick verlieren möchte.“ In der Kommune gehe es nicht nur um das Wohnen, sondern um gemeinsames Leben. Das Bewusstsein hierüber sei leider zum Teil abhanden gekommen. Politik und Kirche falle deshalb die große Aufgabe zu, sich gegen eine solche Entwicklung zu stemmen. Bundes- und Landespolitik setze die Rahmenbedingungen für das Zusammenleben vor Ort und sie sehe es als eine wichtige Aufgabe ihrer Wahlkreisarbeit an, ständig zu prüfen, ob auch wirklich das herauskomme, was man „guten Glaubens auf den Weg gebracht“ habe. Als Ratsvertreterin würde sie sich wünsche, dass sich mehr aktive Kirchenmitglieder in der Ratsarbeit engagieren. „Wir haben uns zum Teil zu sehr aus den Augen verloren“, bedauerte sie, und das, obwohl man oftmals am gleichen Ziele arbeite.
Der anschließend auf dem Podium als „Urgestein“ der Politik vorgestellte Karl Ravens wollte diese Bezeichnung so gar nicht für sich gelten lassen. Lieber sei er „glühende Lava“ als kalter harter Stein, betonte der ehemalige Bundesbauminister und Vorsitzende der niedersächsischen SPD-Landtagsfraktion sowie langjähriges Mitglied der Synode. Und dass diese Bezeichnung weit besser auf ihn zutraf, davon konnten sich die Besucher der Veranstaltung ein überzeugendes Bild machen. Ravens erklärte, über die Diakonie sei er letztlich zur Kirche zurück gekommen, nachdem er im Dritten Reich einen uniformiert durch die Kirche stiefelnden Pastor habe erleben müssen. Aus seiner Zeit als Bundesbauminister berichtete er, dass er damals stark mit der Frage des sozialen Wohnungsbaus befasst gewesen sei. Mit zurückgehender Förderung und Einführung einer Fehlbelegungsabgabe habe man unbeabsichtigt eine Fehlentwicklung unterstützt. Nur noch ganz bestimmte Schichten seien in den so geförderten Stadtteilen angesiedelt worden mit allen Problemen, die aus einer so entmischten Bevölkerung erwachsen. Mit der Bemerkung „Sie müssen sich mal vorstellen, wir würden einen Stadtteil haben, in dem es nur allein erziehende Väter gebe“, machte er den Besuchern deutlich, welch eine Fehlentwicklung man in bester Absicht gefördert habe. Und Ravens betonte, in herunter gewirtschafteten Stadtteilen könnten sich nur schwer demokratische Entwicklungen etablieren. Letztlich sei genau vor diesem Hintergrund die Idee der sozialen Stadt entstanden, die die Menschen aus ihrer Not herausführen und nicht nur Wohnraum sanieren wolle. Es gelte, Menschen, die abgestürzt seien, wieder in die Gesellschaft zurückzuführen. An seine Partei richtete er den Wunsch, man möge auf Parteitagen häufiger Leute wie Frau Coenen-Marx zu Wort kommen lassen. Dass auch die Gäste das so sahen, konnte man am Applaus für diesen Wunsch des lavafeurigen Karl Ravens erkennen.
Mit einem Aufruf zur Gründung des Arbeitskreises Christen in der SPD beschloss SPD-Landesvorsitzender Olaf Lies den Abend. In Hannover gebe es eine solche Initiative bereits seit 30 Jahren. Man wolle aber für alle niedersächsischen SPD-Mitglieder eine solche Möglichkeit eröffnen. Damit solle nicht zerstört werden, „was vor Ort gut läuft“, machte Lies deutlich. Geplant sind Treffen, die viermal im Jahr stattfinden, zudem zweimal jährlich eine Veranstaltung. „Für den Spätherbst wünschen wir uns eine Veranstaltung mit dem EKD-Ratsvorsitzenden Nikolaus Schneider“, der ursprünglich schon für diesen Abend angekündigt gewesen war, kurzfristig aber seine Teilnahme habe absagen müssen. (Rh.)
Interessenten an der Mitarbeit im Arbeitskreis „Christen in der SPD“ beim Landesverband Niedersachsen können sich wenden an:
SPD-Landesverband Niedersachsen
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E-Mail: niedersachsen@nullspd.de